Nein, Trauer ist keine Krankheit - doch sie begleitet uns das ganze Leben lang

Ein Beitrag für mehr Verständnis, Achtsamkeit und Handlungskompetenz im Umgang mit Trauer

Trauer ist keine Krankheit.

Dieser Satz klingt zunächst banal – doch er stellt eine wichtige Weiche in der Art, wie wir mit trauernden Menschen (und mit uns selbst) umgehen. Wer Trauer pathologisiert, sucht nach Symptomen, Störungen und Therapien. Wer Trauer als natürlichen Teil des Lebens begreift, öffnet den Raum für Entwicklung, Ausdruck und Verbindung.

In meiner Arbeit mit Bestattern, Trauerrednern und anderen Fachkräften im Umfeld von Abschied und Wandel begegnet mir oft dieselbe Unsicherheit:

  • Wie lange ist Trauer „normal“?
  • Wo hört Trauer auf – und wo beginnt möglicherweise ein Problem?
  • Wie gehe ich mit Menschen um, deren Trauer anscheinend aus dem Rahmen fällt“?

Die Antwort beginnt meines Erachtens mit einem Perspektivwechsel.

Trauer ist nicht linear – und nicht logisch

Trauer folgt keinem Fahrplan. Sie ist individuell, wellenförmig, widersprüchlich. Immer mal wieder scheint man sich im Kreis zu drehen. Dann wieder fühlt man sich wie auf einem Boot, gegen den Strom rudernd. Kaum hält man an, schon treibt man zurück. Man kann gleichzeitig traurig und dankbar sein, erschöpft und funktional, wütend und verbunden.

Trauer ist keine Störung – sie ist eine Reaktion. Auf Verlust, Veränderung, Unsicherheit. Und das nicht nur nach einem Todesfall.

Trauer betrifft viele Lebensbereiche – nicht nur den Trauerfall

Wir alle trauern mehr, als wir es wahrhaben wollen:

  • nach einer Trennung,

  • beim Verlust von Gesundheit oder beruflicher Identität,

  • beim Abschied von Lebensentwürfen,

  • in Zeiten gesellschaftlicher Krisen oder innerer Erschütterung.

Als Fachpersonen im Bestattungswesen begegnen wir oft nur dem „sichtbaren Teil“ der Trauer – dem Todesfall. Doch unser Handeln wirkt in tiefere Schichten hinein. Sie kann den Verlauf der Trauer maßgeblich mitbestimmen. Wer sich dieser Wirkung bewusst ist, kann Räume öffnen, in denen nicht nur gestorben wird – sondern auch verstanden, verbunden, gewürdigt – und heilend.

Was Fachpersonen brauchen: Haltung statt Patentlösung

Gerade junge Bestatter, aber auch Mitarbeitende der „benachbarten“ Branchen fragen mich oft:

„Wie gehe ich mit Trauernden um, die ganz plötzlich in Tränen ausbrechen oder eigenartig reagieren?“
Meine Antwort ist immer dieselbe: Zuhören. Nicht deuten, nicht diagnostizieren. Da sein.

Trauernde brauchen keine fertigen Antworten, sondern unsere Bereitschaft, Trauer als Teil des Menschseins zuzulassen – in all ihrer Widersprüchlichkeit, Tiefe und oft auch Sperrigkeit. Trauernde untereinander weinen oft miteinander, oft mit einem verständigen Lächeln. Sie wissen, daß die Trauer hinter jeder Ecke lauern kann.

Trauerkommunikation ist Beziehung

Ob im Beratungsgespräch, im Reklamationsfall oder bei internen Teamkonflikten:
Hinter vielen Spannungen kann unausgesprochene Trauer stecken.
Wer das erkennt, reagiert nicht nur professionell – sondern menschlich.

Das bedeutet:

  • nicht jede Krise ist ein Angriff

  • nicht jede Träne braucht Trost

  • nicht jeder Rückzug ist Desinteresse

Manchmal reicht ein Satz wie: „Ich sehe, dass Sie gerade viel tragen.“ Bei dem, der versteht, klingt ein „Alles gut“ auch anders.

Was das für die Praxis bedeutet

Für Bestatter, Redner und andere Fachkräfte in der Begleitung von Sterben, Tod und Trauer heißt das:

  • Nicht therapieren, sondern begleiten.

  • Nicht werten, sondern Raum geben.

  • Nicht vermeiden, sondern aushalten.

Gute Trauerkultur entsteht nicht durch Rezepte, sondern durch das, was wir tun und durch die zugrunde liegende Haltung:
Klar, empathisch, präsent. Genau dafür braucht es Weiterbildung – und ehrliche Gespräche über eigene Grenzen, Erwartungen und Möglichkeiten.

Mein Appell

Trauer ist kein Problem, das gelöst werden muss.
Sie ist ein Prozess, der gesehen und gewürdigt werden will.
Nicht nur im Trauerfall – sondern überall, wo Menschen sich verabschieden, verändern und verwandeln.

Trauer ist kein Fehler. Sie ist Teil unseres Lebens und unserer Entwcklung.
Und genau so sollten wir ihr begegnen – mit Respekt, mit Mut und mit Menschlichkeit.

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